Interkulturelles Lernen

Anforderungen an interkulturelles Lernen

Interkulturelles Lernen hat heute die Aufgabe, die Achtung der kulturellen Vielfalt und das gegenseitige Verständnis für unterschiedliche Lebensweisen zu fördern. Dies bedeutet für unsere Gesellschaft konkret:

  • ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern Schutz vor übergriffen zu garantieren: Ihnen die physische und psychische Unversehrtheit in allen Lebensbereichen zu gewährleisten.
  • Diskriminierungen (auch verdeckte) zu erkennen, um sie dann abzubauen: Also Benachteiligungen und Diskriminierungen in Gesetzen und Verordnungen ebenso wie im realen Zusammenleben zu beseitigen.
  • Solidarisch sein: Im alltäglichen Lebensvollzug Unterstützung und Hilfe für die Schwächeren geben.
  • Partizipation ermöglichen: Beteiligungsrechte für kulturelle Minderheiten im politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich schaffen.
  • Gleichheit verwirklichen: Auf allen gesellschaftlichen Ebenen nicht nur Toleranz üben, sondern Chancen- und Beteiligungsgleichheit verankern.

Coloured
Dear White Fella,
Couple things you should know:
When I born, I black,
When I grow up, I black,
When I go in sun, I black,
When I cold, I black,
When I scared, I black,
And when I die - I still black.
You, White Fella,
When you born, you pink,
When you grow up, you white,
When you go in sun, you red,
When you cold, you blue,
When you scared, you yellow,
When you sick, you green,
And when you die - you grey.
And you have the cheek To call me coloured?
Anon; written in Aboriginal idiom
Niedersächsisches Kultusministerium: Sichtwechsel. Wege zur interkulturellen Schule. Hannover 2000, S. 106.

 

Stufen des interkulturellen Lernens

  • Aufmerksam/Bewusst werden für Fremdes ist der erste Schritt weg vom Ethnozentrismus. Er besteht darin, die fremde(n) Kultur(en) überhaupt wahrzunehmen – ohne sich vor ihr/ihnen zu fürchten bzw. sie als feindlich zu erleben.
  • Verständnis entwickelt sich, wenn jemand einzusehen beginnt, dass die andere(n) Kultur(en) eine eigene Identität und Komplexität besitzen.
  • Akzeptieren/Respektieren der fremden Kultur beginnt, wenn man kulturelle Differenzen, auf die man stößt, als für die fremde Gesellschaft gültig akzeptiert, ohne sie als schlechter oder besser zu bewerten.
  • Bewerten/Beurteilen findet statt, wenn man bewusst beginnt, Stärken und Schwächen der anderen Kulturen zu unterscheiden und für sich selbst einzelne Aspekte davon zu bewerten.
  • Selektive Aneignung neuer Einstellungen und neuen Verhaltens kann sich ereignen, wenn oder sobald man bewusst oder unbewusst auf spezifische Charakteristika der Gastkultur stößt, die man als nützlich oder nacheifernswert empfindet.

Sandhaas, Bernd: Interkulturelles Lernen – zur Grundlegung eines didaktischen Prinzips interkultureller Begegnungen. In: Internationale Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, XXXIV (1988).

Interkulturelles Lernen in diesem Sinne geht also über die Verän­derung von persönlichen Einstellungen weit hinaus. Es erfordert die Abkehr von einem völkischen Denken, das Beteiligungsrechte ausschließlich an durch Blutsbande erworbene Staatsangehörigkeit knüpft. Und es macht die Hinwendung zu transnationalen Orien­tierungen notwendig. Für pädagogische Lernprozesse bedeutet dies, dass tiefe Verunsicherungen bei den Lernenden aufgefangen werden müssen. Denn solche Veränderungsprozesse sind stark emotional besetzt und mit ängsten behaftet.

Um sich mit anderen Kulturen auseinandersetzen zu können, ist neben der Möglichkeit zur Begegnung die Möglichkeit, fremde Sprachen lernen zu können, zentral und sollte so früh wie möglich (bereits ab dem Kindergartenalter) gefördert werden.

Interkulturelles Lernen sollte zwar die Unterschiede und die Ge­meinsamkeiten verschiedener Kulturen erlebbar machen, die entscheidenden Lernprozesse dürften jedoch dort stattfinden, wo auch Konflikt- und Tabuthemen nicht ausgeklammert, sondern bewusst angegangen werden und wo nach Formen des konstruktiven Austrags gesucht wird.

Vielfältigkeit, Akzeptanz und Toleranz dürfen jedoch nicht in eine Beliebigkeit und Gleichwertigkeit abdriften, sondern müssen sich immer wieder an dem Maßstab der Menschenrechte messen lassen. Es geht also um eine positive Bewertung von kultureller Vielfalt.

Kultur, Identität und Gewalt Jeder Mensch hat viele Zugehörigkeiten. Jeder weist viele unterschiedliche Muster von Gemeinschaften auf, darin ist die wichtigste Gemeinsamkeit eingeschlossen, die einer von allen geteilten Identität des Menschseins. Die Vielfalt der Identitäten wird bei der Erzeugung von Gruppengewalt stets systematisch heruntergespielt. Diese Gewalt wird durch die Privilegierung exakt einer Zugehörigkeit als der „realen“ Identität einer Person hervorgerufen.
Amartya Sen: Auf die Gemeinsamkeiten besinnen. In: Frankfurter Rundschau, 30.11.2007, S. 34 f.

Problemfeld Migrantenkinder

Heute hat fast jedes vierte Neugeborene in Deutschland mindestens ein ausländisches Elternteil (2003: 22,5 %). Legt man statt der Staatsangehörigkeit das Kriterium „Migrationshintergrund“ zugrun­de, so kommt inzwischen ein Drittel der Kinder und Jugendlichen aus Migrantenfamilien. In den Städten Westdeutschlands liegt der Anteil bei den 15-jährigen Jugendlichen sogar bei bis zu 40 % (Kinderkommission des Deutschen Bundestages 2005). Eine für die Schule besondere Herausforderung stellen die geringeren Schuler­folge von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund dar. Diese sind oft auf eine zu geringe und zu späte Sprachförderung sowie auf mangelnde Unterstützungsmöglichkeiten in der Herkunftsfamilie zurückzuführen. Deshalb ist zu fragen, wo Schule als Institution Veränderungen voranzubringen hat, damit alle Kinder trotz unterschiedlicher Voraussetzungen in der Schule optimal gefördert werden können, das öffentliche Gut „Bildung“ gleich­berechtigt verteilt werden kann (Zitzelsberger o.J.). Denn Kinder mit Migrationshintergrund werden vermehrt von der Einschulung zurückgestellt, werden öfter an Sonderschulen überwiesen und werden weniger häufig für den übergang an ein Gymnasium empfohlen. Sie erreichen deutlich seltener höhere Schulabschlüsse. Interkulturelles Lernen muss sich deshalb auch – von der Schule aus gesehen – auf eine massive Förderung von Kindern mit Migra­tionshintergrund beziehen, denn insbesondere Jungen und jun­ge Männer aus Zuwandererfamilien sind gefährdet, aus Frust und Perspektivlosigkeit in gewalttätige oder kriminelle Szenen abzurutschen. Hinzu komme, so die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund besonders häufig von familiärer Gewalt be­troffen sind (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 2008; vgl. Baier u.a. 2009).

Lernbereiche interkulturellen Lernens

Stellungnahme des Islamrates 2009
Der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland begrüßt grundsätzlich die Einrichtung der Deutschen Islamkonferenz (DIK) durch das Bundesministerium des Inneren. Mit der DIK ist der Staat in einen längst überfälligen Dialog mit seinen muslimischen Bürgern eingetreten und hat damit ein wichtiges Zeichen gesetzt. So hat der deutsche Staat den institutionellen Grundstein für den Dialog mit den Muslimen geschaffen und gleichzeitig der religiösen Vielfalt in unserem Land Ausdruck verliehen. Neben dieser grundlegenden Bedeutung für die Integration des Islam und der Muslime in den gesellschaftlichen Kontext der Bundesrepublik kann die DIK durchaus auch auf vielversprechende praktische Empfehlungen verweisen, die den Integrationsprozess positiv befördern können. Dazu gehört die Forderung, den Islam und die Muslime als Teil unverzichtbaren Bestandteil Deutschlands anzuerkennen.

Auch die Empfehlungen bzgl. der Sprachförderung bzw. der Mehrsprachigkeit von Kindern mit Migrationshintergrund, der Einführung des islamischen Religionsunterrichtes, der gezielten Förderung der interkulturellen Kompetenz von Schulen u.a. durch die Verstärkung des Lehrerkollegiums durch muslimisches Personal und der Förderung kommunaler Projekte sind selbstverständlich begrüßenswert.

Stellungnahme des Islamrats zum Zwischen-Resümee der Deutschen Islamkonferenz für das 4. Plenum am 25. Juni 2009 in Berlin. www.islamrat.de

Deutsche Freunde

Deutsche Freunde Die Gewaltrate der Migrantenjugendlichen fällt umso niedriger aus, je höher die Quote der deutschen Freunde ist. Je mehr die Migrantenjugendlichen dagegen „unter sich“ bleiben, umso stärker entwickelt sich eine delinquente Peer-Kultur von Außenseitern, die von einem Gefühl der Benachteiligung geprägt ist und aggressive Tendenzen gegen „die Deutschen“ entwickelt.
Susann Rabold/Dirk Baier/ Christian Pfeiffer: Jugendgewalt und Jugenddelinquenz in Hannover. Hannover 2008. S. 5.

Verschiedene Gruppen
Die „Ausländer“ und die „Migrationsbevölkerung“ in Deutschland bilden keine homogene Gruppe. Es lassen sich vielmehr drei große Gruppen unterscheiden: ausländische Arbeitnehmer, Flüchtlinge, und (Spät)aussiedler. Hinzu kommen eigenständige ethnische Min­derheiten (wie etwa die Sorben im Spreewald). Für jede dieser Gruppen gibt es unterschiedliche rechtliche Bestimmungen und viele verschiedene individuelle Biografien und Integrationsverläufe. Das Wiesbadener Klassifikationsschema unterscheidet Personen mit eigener und ohne eigene Migrationserfahrung (Filsinger 2006, S. 216). Zu den Personen mit eigener Migrationserfahrung gehören nach dieser Klassifikation:

  • Ausländerinnen und Ausländer der ersten Generation, die im Ausland geboren sind und eine ausländische Staatsbürgerschaft besitzen.
  • Spätaussiedler.
  • Eingebürgerte Ausländerinnen und Ausländer, die im Ausland geboren sind, aber eine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen.

Zu den Personen ohne eigene Migrationserfahrung zählen:

  • Ausländerinnen und Ausländer der 2. und 3. Generation, die in Deutschland geboren sind, aber eine ausländische Staatsbürgerschaft haben.
  • Nachfahren der Spätaussiedler, d.h. beide Elternteile sind Spätaussiedler.
  • Deutsche mit mütterlichem Migrationshintergrund, die in Deutschland geboren sind und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, deren Mutter Ausländerin ist oder im Ausland geboren wurde.

Nimmt man noch die verschiedenen Herkunftsländer und Biografien dieser Gruppen hinzu, so wird der vielfältige Hintergrund der Migrationsbevölkerung deutlich.

Zahlen - Daten - Fakten:

Im Jahr 2017 hatten 19,3 Millionen der insgesamt 81,7 Millionen Einwohner in Deutschland einen Migrationshintergrund (Zugewanderte und ihre Nachkommen). Von diesen 19,3 Millionen Personen waren 9,8 Millionen Deutsche und 9,4 Millionen Ausländer (51,1 bzw. 48,9 Prozent). Mittelfristig wird sich der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund weiter erhöhen: Im Jahr 2017 hatten in Deutschland 39,1 Prozent aller Kinder unter fünf Jahren einen Migrationshintergrund. Laut Ausländerzentralregister lebten Ende 2018 rund 10,9 Millionen ausländische Mitbürger in Deutschland.

Datenquelle: Statistisches Bundesamt: Mikrozensus – Bevölkerung mit Migrationshintergrund

Interkulturelle Kompetenz
Interkulturelle Kompetenz schließt ein: Das offene Zugehen auf Gruppen mit anderer kultureller Orientierung und Menschen mit anderen Identitätsentwürfen, für die fremde Kulturelemente bedeutsam sind, die Anerkennung also anderer Orientierungssysteme und Identitätskonstrukte. Das impliziert die überwindung von Vorurteilen bzw. ein Misstrauen gegenüber den eigenen Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata. Interkulturelles Lernen beginnt mit angeleiteter Selbsterfahrung und kritischer Selbstreflexion.
Georg Auernheimer: Grundmotive und Arbeitsfelder interkultureller Bildung und Erziehung. In: Ulrich Dovermann/Ludger Reiberg (Red.): Interkulturelles Lernen. Arbeitshilfen für die politische Bildung. Bonn 1998, S. 23.

Aufgabe interkultureller Jugendarbeit

  • Konflikte, insbesondere interkulturelle Konflikte, zu bearbeiten, sie zumindest zur Sprache zu bringen;
  • über gegenseitige Stereotype und Vorurteile zu kommunizieren, sich der beschränkten Wahrnehmungsmuster bewusst zu werden;
  • andere Perspektiven zu entdecken, sich mit den Augen der anderen zu sehen;
  • Einblicke in andere Lebensweisen zu nehmen, um die Rationalität der eigenen Lebensweise zu relativieren;
  • deren sozialstrukturelle Benachteiligung möglichst „hautnah“ zu erfahren – am besten in Konfrontation mit Fällen, evtl. aus der eigenen Gruppe (Vorsicht vor Mitleidspädagogik!);
  • eingreifendes Handeln zu erproben;
  • Kooperationserfahrungen über ethnische Grenzen hinweg zu machen;
  • das kulturelle Repertoire zu erweitern, unter anderem durch spielerischen Umgang mit kulturellen Symbolen.

Diese Ziele werden sich nicht alle zur gleichen Zeit und mit demselben Ansatz realisieren lassen.
Georg Auernheimer: Einführung in die interkulturelle Erziehung. 2. überarbeitete und ergänzte Aufl. Darmstadt 1995, S. 239.

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